Ein Blick in die Zukunft – Was macht das „New Normal“ mit uns?

Was macht das „New Normal“ mit uns? Fünf Fragen an Mariska Boog, Lisa Hengl und Ulrich Gerndt, die seit vielen Jahren als Berater, Coach und Trainer Kunden begleiten:

Der Blick in die New Normal Zukunft
  1. Was ist Deine „krasseste“ Veränderung in den letzteneineinhalbJahren – beruflich und/oder privat?  

Mariska: Ich nehme wahr, dass für mich persönlich die Umstellung meiner Arbeitsweise die Auflösung eines jahrelangen inneren Konfliktes bedeutet hat! 
Denn so sehr ich meinen Alltag früher liebte mit den Reisen über teilweise ein, zwei Wochen oder die oft mehrtägigen Workshops mit Kunden … es brachte eben auch mit sich, sehr lange Zeit von meiner Familie getrennt zu sein.  

Die Pandemie hat für mich diesen Konflikt gelöst: Ich habe weiterhin sehr viel Nähe zu meinen Kunden und finde, dass wir auch dank der Weiterentwicklung von den verschiedensten Kollaborations-Tools viele Projekte gemeinsam in „Co-Creation“ vorantreiben. Sehr intensiv und sehr integriert. Und gleichzeitig erlebe ich viele schöne, oft spontane Momente mit meinem Mann und Töchtern. Ich bin dem „Guten Arbeiten“ sehr viel nähergekommen, finde ich.  

Lisa: Bei mir hat sich ehrlich gesagt gar nicht so viel verändert in dieser Zeit. Ich habe auch schon vorher viel online und mit zahlreichen Tools gearbeitet und experimentiert und bin jetzt vielleicht nur noch ein Stück „professioneller“ geworden: So habe ich mir z.B. eine Ringleuchte gekauft, damit ich in den vielen Video-Konferenzen noch besser `rüberkomme. Denn immerhin hat man jetzt online mehr „Time to shine“. Was ich aber als Veränderung wahrnehme: Durch die deutlich reduzierte Reisetätigkeit und die effizienteren Meetings dank der weiterentwickelten Tools habe ich mehr Raum, den ich viel bewusster mit Projekten und Aktivitäten füllen kann und muss. Auch Flexibilität muss irgendwie gesteuert werden.  

Uli: Ich habe lange über diese Frage nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es bei mir eigentlich keine krasse, im Sinne von richtig tiefgehender Veränderung gab, wie es sich vielleicht bei Mariska anfühlt. Aber ich musste einige berufliche Kompetenzen neu lernen, z.B. mich in die verschiedenen Plattformen für Zusammenarbeit einarbeiten – und zwar deutlich tiefer als früher, wo ich vielleicht `mal Teilnehmer in einem Online-Meeting war. All‘ diese Features kennenzulernen und auszuprobieren, wie ich sie für meine Kunden am besten einsetzen kann, das hat mich schon einige Tage vor dem PC gekostet. Aber es hat auch Spaß gemacht, Konzepte zu entwickeln, um z.B. einen Spannungsboden digital zu gestalten, wenn sich Workshop-Teilnehmer eben nicht mehr gemeinsam in einem Tagungshotel gegenübersitzen. Und auch zu überlegen, wie man die interaktiven Übungen über unsere bewährten Lern-Projekte online anders gestalten kann und dabei den gleichen Effekt hat. Da habe ich extrem viel ausprobiert, auch gemeinsam mit den Kunden gelernt und habe mittlerweile ein tolles Repertoire an Übungen und Techniken, die online sehr effektiv sind.   

  1. Was schätzt Du am „New Normal“?

Mariska: Die Ruhe! Aber gleichzeitig fällt es mir auch auf die Füße, dass ich viel mehr Zeit alleine im Home Office vor dem Bildschirm verbringe. Denn ich habe in letzter Zeit gemerkt, dass mir etwas auf der Herzensebene fehlt. Darum gehe ich jetzt noch bewusster auf Freunde und Bekannte zu und initiiere Austausch und Gespräche. Und ich schätze noch mehr die persönlichen Gespräche mit den Kunden, die sich oft auch am Rande von virtuellen Treffen ergeben. Dieser Austausch bringt mir sehr viel! 

Lisa: Was ich am „New Normal“ schätze? Eigentlich alles! Weil ich die vielen Möglichkeiten und Freiheiten sehr bewusst steuern und nutzen kann. Und ja, manche Kontakte sind intensiver geworden, weil man sich eben nicht mehr ausschließlich zu einem Ganz-Tages-Training trifft, sondern z.B. mit 6-7 Teilnehmern „nur“ zwei Stunden sehr gezielt gemeinsam an einem Thema arbeitet. Und da irgendwie auch fokussierter vorgeht. Und ich schätze am „New Normal“ das bessere Essen! Ein selbstgekochtes Gericht mit Gemüse und Kräutern aus meinem neuen Hochbeet – übrigens mein privates Pandemie-Projekt – toppt jeden Imbiss am Flughafen.    

Uli: Ja, da kann ich mich Lisa nur anschließen. Auch ich erlebe die Zusammenarbeit fokussierter. Früher sah mein Tag oft so aus: lange Anreise, Start eines Workshops, dann Kaffee-Pausen, die oft in die Länge gezogen worden, weil doch nicht alle pünktlich waren, Foto-Protokoll, Aufräumen der Pinnwände, Heimfahrt …. Der Tag war oft sehr lang. Heute arbeiten wir hochkonzentriert in Zeitfenstern von 2-3 Stunden zusammen und erreichen gemeinsam dank der neuen Techniken schnelle Ergebnisse in gleich hoher Qualität.   

Ein weiterer Aspekt, den ich am „New Normal“ schätze: Ich kann eine größere Anzahl von Projekten gleichzeitig umsetzen, was früher einfach nicht ging, weil ich so viel „on the Road“ war. So sehen meine Tage heute oft so aus: Ein 2-stündiges Coaching, danach zwei Mini-Workshops und vielleicht noch zwei, drei längere Kunden-Telefonate. Und mit diesem Gefühl, gemeinsam mit verschiedenen Kunden viel geschafft zu haben, genieße ich die restliche freie Zeit umso mehr und kann mich auch meinen privaten Interessen widmen. So habe ich als leidenschaftlicher Fotograf in den letzten Monaten einige neue Foto-Techniken gelernt und meinen Fischer-Schein gemacht.  

  1. Was vermisst Du? Warum? Kämpfst Du dafür, dass es wiederkommt?  

Mariska: Mein Berater-Herz vermisst schon die physischen Treffen, so sehr ich die Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit auch schätze. Ich begleite einige Leadership-Teams seit langem digital und manchmal stößt man dann in der Team-Entwicklung auf ein “Plateau”, das nicht einfach über eine Online-Begegnung zu durchbrechen ist. Und wenn es diese Momente der Vertiefung braucht, habe ich versucht, “echte” Treffen zu ermöglichen, auch wenn die Bedingungen wegen der Pandemie schwierig waren. Dafür brauchen wir nicht acht Stunden in einem Seminar-Raum konzeptionell zu arbeiten. Mit einem Team bin ich einfach auf den Berg gegangen, denn die Kollegen brauchten die Begegnung: für Gespräche, weiteres Kennenlernen – eine ganzheitliche Erfahrung für Körper, Seele und Herz. Und das sind Erfahrungen, die teilweise zu kurz kamen und für die ich mich einsetze, dass sie dennoch möglich sind.  

Uli: Vermissen … eigentlich nichts. Denn mittlerweile gehen alle unsere Kunden die Themen an, die für sie wichtig sind und die sie am Anfang der Pandemie vielleicht noch aufgeschoben haben mit der Begründung: „Das geht online nicht, da warten wir mal ab.“ Führungskräfte-Entwicklungs-Programme sind da ein gutes Beispiel – die wurden bei vielen erst einmal zurückgestellt. Aber jetzt haben alle gesehen, dass online im Prinzip alles möglich ist. Von daher vermisse ich da nichts. Und auch wenn ich an meine Coaching-Kunden denke, sehe ich, dass auch online Erfahrungen und Erkenntnisse möglich sind, ja teilweise sogar intensiver als in persönlichen Treffen. So habe ich einige Coaching-Situationen erlebt, wo es sogar mit Tränen und vielen Emotionen ein sehr großes Gefühl der Nähe gab mit den „Durchbruch-Momenten“, die den Kunden am Ende extrem geholfen haben. Also auch in dem Bereich fehlt nichts, um auf die Frage zu antworten.  

Nur wenn es um Spannungen zwischen Teams geht, stößt man virtuell an seine Grenzen. Da sind „Durchbruchs-Momente“ oft schwer zu erreichen, wenn es zu emotional wird. Diese Konflikte löst man am Ende meistens doch nur gemeinsam vor Ort.  

  1. Was hättest Du vor zwei Jahren nie für möglich gehalten, wenn Du an Deine Arbeitsweise denkst / an die der Kunden / an unsere Zusammenarbeit im change factory Team? 

Mariska: Was ich bereichernd fand: Wir Berater haben uns im ersten Halbjahr der Pandemie viel häufiger virtuell getroffen als früher. Da war ja jeder vor Ort bei seinem Kunden oder man traf sich mal per Zufall in der Lounge am Flughafen oder am Bahnhof. Jetzt sehen wir uns viel öfter – natürlich virtuell – und tauschen uns mehr aus. Vor allem zu Beginn der Pandemie haben wir häufig gemeinsam überlegt, wie wir als Berater und Firma durch diese Krise kommen. Und ich finde, das sollten wir unbedingt beibehalten, denn in diesem internen Austausch liegt unglaublich viel Potential! 

Lisa: Also, vor zwei Jahren hätte ich mir viel von dem gewünscht, was heute möglich ist. Und ich glaube sogar, dass noch viel mehr möglich ist als das, was wir heute machen. So bin ich z.B. davon überzeugt, dass es für einige Teams auch virtuell Möglichkeiten gibt, ein Erlebnis, wie das von Mariska beschriebene Wandern, zu erleben. Für diese Themen bin ich extrem offen und habe richtig Lust dazu, diese Möglichkeiten mit Kunden weiter zu vertiefen oder auszuprobieren. Ich finde, wir sind jetzt in einem Flow und ich denke, es ist alles online möglich, was ich für möglich halte. Und dennoch ist es keine Alternative, sondern eine Erweiterung. 

Uli: Also, jetzt spreche ich in meiner Rolle als Geschäftsführer mal sehr ehrlich aus, was meine Kollegen und mich natürlich sehr bewegt hat zu Beginn der Pandemie und von dem ich nie geglaubt habe, dass wir darüber nachdenken müssen: Wie bzw. werden wir als Firma diese Krise überstehen? Denn immerhin waren wir damals ein Unternehmen, das 90% seiner Seminare, Workshops, Coachings etc. vor Ort durchgeführt hat. Dass wir dann schon im Herbst 2020 wieder ein solides Niveau erreicht haben – sicher auch dank des Zusammenhalts und des intensiven Austauschs alles Kollegen untereinander – war schon toll. Und es hat unsere Zusammenarbeit im Team geprägt. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte, aber es war schön zu sehen, dass wir so schnell wieder auf soliden Füßen stehen. Und dass unsere Kollegen und wir heute einen vergleichbaren und hohen Wissensstand haben, was digitales Arbeiten angeht, freut mich sehr.  
Was die Zusammenarbeit mit den Kunden angeht: Ich finde, dass die Vorgehensweise viel pragmatischer geworden ist: Was haben wir früher Zeit in die Ausarbeitung von Präsentationen und die Pitch-Termine gesteckt! Heute sagen viele Kunden: „Mir reicht es, Sie virtuell eine Stunde kennenzulernen.“ Und Angebote müssen mittlerweile nicht mehr überall in umfangreichen Dokumenten eingereicht werden, sondern wir entwickeln sie teilweise gemeinsam mit den Kunden und stimmen sie am Ende unkompliziert per Email ab. Vieles wird also nach meinem Empfinden pragmatischer und ermöglicht dadurch mehr Zeit für die eigentliche Arbeit, unsere Kunden in ihren Change Prozessen bestmöglich zu begleiten.  

  1. Und was kommt jetzt? 

Mariska: Ich merke gerade, dass ich für mich einen neuen Weg finden muss, die Trennung zwischen Beruf und Privatleben besser hinzukriegen. Denn wo früher eine Autofahrt oder das Warten am Bahngleis half, den Arbeitstag revue passieren zu lassen, da ist jetzt nur noch eine Zimmertür. Die “ruck-zuck” hinter mir zu ist, aber eben zu schnell, um den Schlussstrich unter die beruflichen Themen für diesen Tag zu ziehen. Und gerade weil es oft so viele verschiedene Kunden und Eindrücke sind, erscheint mir das umso wichtiger. Da suche ich noch nach einem Ritual, einer Idee, um mir „Zwischen-Zeit“ zu geben.  

Lisa: Das Gefühl kenne ich, Mariska. Und wahrscheinlich gibt es da auch kein Patent-Rezept. Mir hilft es, rauszugehen, Yoga zu machen oder mein Hochbeet zu pflegen. Mir also einen Raum zum Abschalten einzurichten.  

Uli: Ich vermute, dass es den meisten so geht wie von Dir, Mariska, geschildert. Und ich glaube auch, dass die Pandemie oder andere Krisen uns weiterhin begleiten werden. Von daher versuche ich, meine persönliche Anpassungsfähigkeit, meine Resilienz wann immer möglich zu stärken. Und ich kann mir auch vorstellen, dass das ein Thema ist, bei dem wir viele Kunden zukünftig stärken unterstützen und begleiten werden.  

Vielen Dank an Lisa, Mariska und Uli für ihre ehrlichen Antworten, was das „New Normal“ mit ihnen macht und was sie damit machen!

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